Der Begriff polis, griechisch für Stadt, hat eine eindeutige Beziehung zum Begriff Politik. Nun sind die -auch corona-bedingten- Probleme des innerstädtischen Handels auch ganz oben in der Politik angekommen. Minister Altmaier will sich des Themas annehmen.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/peter-altmaier-will-ladensterben-verhindern-und-innenstaedte-in-der-pandemie-retten-a-c8336523-3d88-4088-bbd2-3ebb7d1db149
Reichlich spät, mindestens 10 Jahre zu spät und mit wenig Aussicht auf Erfolg, finde ich.
Hier ein Rede-Text von mir aus dem Jahre 2016, anläßlich eines Handelsmeetings:
Warum noch in einem Laden einkaufen gehen?
Der stationäre Einzelhandel in Deutschland braucht eine neue TOP-Positionierung, da er mit vielen Problemen zu kämpfen hat, die erstens hausgemacht sind, die zweitens durch neue Wettbewerber und drittens durch die fortschreitende Digitalisierung entstehen.
Der stationäre Einzelhandel in Deutschland leidet im Wesentlichen unter …
a) Online-Konkurrenz
b) Nachfolge- und Nachwuchsproblemen
c) Service- und Verkaufsmängeln beim Personal
d) Billiganbietern, Preisdumping
e) hohen Mieten in 1a-Lagen, Uneinigkeit der Vermieter
f) schlechten Frequenzen in 1b- und niedrigeren Lagen
g) schlechtem Marketing und Angebotsmix etc.
h) mangelnder Kaufkraft in Mittelzentren und darunter
i) Filialisierung und Franchising
j) Preis- und Qualitätstransparenz durch Digitalservices wie Preisvergleichs- und Bewertungsportale
k) einfallslosen Verbänden und Funktionären
l) verwöhnten und cleveren Kunden
m) Ideen- und Konzeptlosigkeit, Uniformität
Abhilfe schaffen kann nur ein grundsätzliches Umdenken. Der Einzelhandel vor Ort und auch seine Organisations-Overheads wie z.B. City-Marketer oder Center-Manager müssen sich viel stärker auf seine Stärken konzentrieren.
Der stationäre Einzelhandel hat nur die Möglichkeit sich mit seinen Stärken von der Konkurrenz -besonders der digitalen- zu unterscheiden.
Preisschlachten mit Gutscheinen, Rabatten, Deals und Sales sind auf Dauer vollkommener Unsinn, weil sich die meisten Kunden zu reinen Schnäppchenjägern entwickeln. Als Kunde erwartet man immer billigere, noch preiswertere Produkte und Dienstleistungen. In letzter Konsequenz könnte der Handel alles kostenlos abgeben. Ausserdem führen diese Formen des Preismarketings zu ständigen Preisvergleichen, zum „Showrooming“ und zu schwindender Kundenbindung. Wenn es einen hohen Preisnachlass gibt, wird eben auf Vorrat gekauft, was dazu führt dass Kunden tage- oder wochenlang nicht wiederkommen, also später auch zum regulären Preis nicht kaufen.
Damit ist gleichzeitig das eigentlich „normale“ Preisniveau dauerhaft zerstört.
Einzig und allein Wertschätzung sowie standhafte, profitable Preise und individuelle Preisnachlässe (z.B. bei A-Kunden, Topkunden) sind langfristig noch markt- und unternehmenstauglich.
Dazu braucht der stationäre Handel „Live-Aktionen“, weil Live-Erfahrungen von Angeboten, Produkten sowie das Ambiente und direkte menschliche Kontakte online eben nicht möglich sind. Kurz: Er muß es „wert“ sein, daß der Kunde ihn aufsucht.
Und er braucht Personal das in der Lage ist Kunden-Wertschätzung und standhafte, profitable Preise bzw. individuelle Preisnachlässe gleichermaßen zu vermitteln.
Ausserdem muß er nützlichen, aussergewöhnlichen und individuellen Service bieten, den man sonst nirgends findet und einen Händler von der Konkurrenz(offline und online) unterscheidbar macht.
So wird auch ein weiterer wichtiger Kundenvorteil vermittelt: Die Exklusivität. Nur da gibt es …, das bekommt man nur bei …, nur die bieten … usw.
Zusätzlich wirkt der Zusammenschluß zu schlagkräftigen Organisationsstrukturen wie City-Marketing oder Shopping-Center, um gemeinsam Konzepte umzusetzen und eine einzigartige große Auswahl vor Ort anzubieten und um auch von Synergien (z.B. bei der Werbung) zu profitieren. Der alleinkämpfende Einzelhändler ist ansonsten in Ober- und Mittelzentren zum Scheitern verurteilt und hat vielleicht in einem Urlaubsort noch Überlebenschancen.
Schlußendlich ist in Deutschland eine Kundschaft entstanden und quasi dazu erzogen wurde sich wesentlich auf den Preis zu konzentrieren. Dementsprechend dürften alle Arten von kostenlosen Zusatz-, Neben-, Extra-, oder Mehrwertleistungen wohl das beste Angebot darstellen. Getreu dem Motto „Dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“ freuen sich Kunden noch am allermeisten über Produkte und Leistungen für die sie nicht bezahlen müssen. Es versteht sich allerdings von selbst das Kunden einen sensiblen Sinn für den Wert und Nutzen von kostenlosen (Mehrwert-)Leistungen haben. Hier mit den billigsten Mitteln trumpfen zu wollen ist eher kontraproduktiv. Ebenso kontraproduktiv ist eine Überschwemmung der Kunden mit kostenlosen Leistungen. Der Gewöhnungseffekt führt zu Langeweile und Anspruchsdenken. Kreativität und Abwechslung sind auch hier gefragt und eine Mehrwertleistung muß auch nicht immer gratis sein. Clever gemacht sind Kunden sogar bereit dafür zu bezahlen. Wenn es in der Summe auch noch einen Preisvorteil ergibt, umso besser. Die Grenzen zwischen dem eigentlichen Leistungsangebot und dem zusätzlichen besonderen Kundenservice sind dann allerdings teilweise fließend.
Die üblichen Verdächtigen aus den Handeslverbänden predigen die inzwischen ebenso üblichen Durchhalte-Formeln sowie Lösungen in Form von Social-Media-Marketing, Multi-Channelling etc. Da wird das heimatliche Shoppen, das Vor-Ort-Einkaufen propagiert, als wäre dies für Kunden tatsächlich ausschlaggebend.
Das alles kostet Zeit und Geld. Durchhalte-Parolen helfen nur den Verbandsfunktionären selbst, können sie damit doch weiter ihre Existenzen rechtfertigen. Wenn man sich die Webseiten und Online-Initiativen des stationären Handels anschaut dann weiß man in über 90% der Fälle warum das nicht klappen kann, spätestens dann wenn man es mal mit einem Smartphone macht.
Was den angeblichen Vorteil der sofortigen Verfügbarkeit im Laden angeht, sollte man sich vor Augen führen wieviel Zeit und Geld (z.B. tanken, Fahrschein) man braucht um erstmal im Laden zu sein. Ganz abgesehen davon dass online die Auswahl schier unbegrenzt ist und man in der Zeit die man zum Ladengeschäft und zurück braucht auch was Besseres tun kann.
Da kann es also wesentlich entspannter sein einen Sameday-, One-Hour- oder 15-Minutes-Delivery-Service in Anspruch zu nehmen.
Und was den angeblichen Vorteil der Beratung vor Ort angeht, so ist dies vollkommener Unsinn. Online oder auch per Telefon hat man doch sehr viel mehr Möglichkeiten informiert und beraten zu werden.
Um das alles zu erkennen braucht man keine Studien und großartige Befragungen durchzuführen wie sie derzeit jede Woche auf dem Neuigkeiten-Markt erscheinen. Nur fünf Minuten nachdenken, sich ein wenig online tummeln, mal in der City bummeln gehen und ein paar kurze Gespräche mit Tochter/Sohn, Ehefrau/Ehemann und Oma/Opa genügen schon um zu wissen was los ist. Nur kann man dann nicht die Schuld auf andere schieben getreu dem Motto: Die haben aber gesagt … .
Fazit:
Alle Händler – offline und online- stehen schon heute permanent unter dem Druck ihr Angebot und ihren Kundenservice an die sich stetig verändernden Marktverhältnisse und Kundenbedürfnisse anzupassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und die momentan wichtigste Herausforderung ist sicherlich der Einfluss der Digitalisierung. Wie ist mit Technisierung, Digitalisierung, Showrooming, Social-Media-Marketing und Multi-Channelling umzugehen, wie kann man damit Erfolg haben?
Allein das Internet bietet den Kunden zwei mächtige Möglichkeiten die es vorher in dem Ausmaß nicht gab:
1. das Preisvergleichen und 2. das Bewerten.
So kann es dazu kommen das Kunden in Preisvergleichsportalen suchen, das „günstigste“ kaufen und den Anbieter dann wegen fehlendem Kundenservice (Nur deshalb war`s ja so günstig!) schlecht bewerten. Ein Teufelskreis.
Zusätzlich hat der stationäre Handel aufgrund des steigenden Filialisierungsgrads noch ein anderes gravierendes Problem: Wie bietet man trotz der Uniformität der Innenstädte und Einkaufszentren individuelle Anreize für den Einkauf?
Allein seine Stärken werden dem stationären Einzelhandel helfen zu überleben, außer vllt. man ist der einzige Händler vor Ort bei dem alle kaufen müssen.